Eine zeitlose Faszination: Lust auf Leder
Weit über ein Jahr ist es nun her, dass ich in eine Gay-Lederbar gehen konnte und dort, mitten in durch Zigarrenqualm angedickter Luft und mit härteren Beats, geile Lederoutfits in allen Formen und Preisklassen betrachten durfte. Allein der Anblick von Männern, umhüllt in diesem Material, zwingt schon Männer reflexartig auf die Knie zum ausgiebigen Stiefellecken, die dabei ihre Ärsche paarungsbereit nach oben strecken. In einer Lederbar sind die Rollen daher so offensichtlich wie die von Fabrikarbeitern in einem Werk.
Vor der Entstehung der sogenannten „New-Guard-Lederbewegung“ in den 90ern lag man mit der Betrachtung auch immer richtig, denn bis zu diesem Zeitpunkt gab es sehr einfache Rollenverständnisse, die sich auch in der Lederkleidung widerspiegelten. Nun sind wir ja in den letzten Jahren sowieso sexuell in viel komplexeren sowie von mehr Toleranz geprägten Sphären unterwegs. Während ich mit meinen fast 45 Jahren noch aus einer Zeit komme, in der auf jeder Schwulenparty noch ein separater Darkroom existierte, über den ein „Men-Only-Schild“ prangte, sowie teilweise die Cis-Männlichkeit durch Security kontrolliert wurde, fickten wir ja nun bis vor Corona allesamt im Berghain mit den Heteros in der ersten Etage, und im KitKat lassen sich eh kaum noch Geschlechter und sexuelle Ausrichtungen optisch trennen - aber, wer will das schon? Schließlich sollte nicht ein bei der Geburt teilweise sogar willkürlich zugewiesenes Geschlecht oder gar eine anerzogene und ausgedachte Ideologie uns für körperliche Begegnungen qualifizieren, sondern der Mensch, sein Körper oder seine (Fetisch-)Leidenschaft selbst.
Willkommen in der Zukunft!
Das Material Leder hat seinen hohen Status nicht wie andere „in Mode gekommene dominante Bekleidungsstücke" - erlangt, um ihn dann wieder mit wandelendem Zeitgeist zu verlieren, wie zum Beispiel der Zylinder. Nein, Leder hat sich seinen dominanten Ruf auch weit über ein Jahrhundert durch seine eigene Beschaffenheit zu Recht verdient. Es ist ein festes Material, es gibt nicht nach wie andere Stoffe, wirkt daher kühl und distanziert und vergrößert den Körper. Leder täuscht somit Muskeln vor, kaschiert zeitgleich auch noch ein Bäuchlein und passt durch den subtilen Glanz hervorragend zu grauen Schläfen. Die Faszination dieses Materials bindet Menschen so sehr zusammen, dass hierfür bis heute existierende Vereine gegründet wurden und es in den verschiedensten Ausprägungen im Ledermuseum (USA) betrachtet werden kann.
Wenn man von traditionsreichen schwulen Stereotypen spricht, kommt in der Aufzählung gleich nach dem Transvestiten der Lederkerl, für den Leder nun mal die Grundlage bildet. Künstler wie Tom of Finnland waren hier maßgeblich beteiligt. Einmal damit umhüllt, wird auch aus dem größten Weichling ein echter Kerl: männlich, aktiv sowie auch aggressiv. Auch, wenn es manchmal gerade bei einem etwas „sanfteren Zeitgenossen“ etwas überzeichnet aussieht, verfehlt es trotzdem seine Wirkung nie. Nicht umsonst hat die Showtunte Patsy l’Amour laLove daher treffend das schwule Lederoutfit als „Travestie der Männlichkeit“ betitelt. Man könnte bei meinen Lobgesängen hier denken, ich wäre auch ein steiler Fetischist, aber ich bin eher ein „Fan der Wirkung“. Während ich in alltäglichen Outfits die Wirkung des strengen „Daddys“ habe, verwandelt mich Leder eben zum Dominus und manifestiert somit meine Sexualität in optischer Hinsicht bestens.
Da ich nun kein wirklicher Fetischist bin – und somit kein echter Kenner -, ist es gut, dass ich mir die persönliche Beratung direkt beim Anprobieren einhole. Ich habe mich allerdings für Premium-Leder entschieden, was es gar nicht so leicht macht, eine lokale Beratung zu bekommen, denn meine Marke wird aus den USA importiert. Da ich sowieso gern in München bei meinem Kumpel Michael Spielzeuge kaufe, entscheide ich mich also für einen Trip zu ihm. Sein Geschäft ist im Gay-Szene-Viertel am Sendlinger Tor und bietet - nach Betreten - eine Welt voller aufregender Möglichkeiten. Ich rolle meinen Koffer in das Geschäft, denn ich will Vorher-Nachher-Fotos machen beziehungsweise prüfen, ob ich das neue Leder mit den alten Outfits kombinieren kann. Ich bin sogar etwas nervös, denn der Kauf ist preislich mit dem eines Kleinwagens gleichzusetzen. Hoffentlich wird das Outfit passen.
Pure Männlichkeit – die Lederjacke
„Dein Leder ist hier drüben“, sagt Michael, und positioniert sich neben dem Regal vor den schon aus der Ferne besonders kraftvoll aussehenden Lederjacken. Ich werfe die Jacke, die er mir reicht, über und finde sie auf Anhieb geil. „Boah, ist das ein Panzer“, rufe ich. Michael lächelt nur, und seine schönen blau-weißen Augen funkeln mich an. „Na, der weiß schon, was er hier im Laden hängen hat“, denk ich mir. Das Leder riecht schön natürlich - es ist also unbehandelt, aber auch etwas steif, und es fällt mir schwer, mich in der Jacke zu bewegen. Michael sagt aber reflexartig, dass diese Steifheit nach einiger Zeit weggeht und sich der Form meines Körpers und den Bewegungen anpassen wird. Ich trage ja schon länger Leder und kannte den Effekt schon, trotzdem bin ich froh für diese Info, denn ich war schon wieder leicht verunsichert.
Die Hose konnte ich nicht kaufen, denn ich hätte den Reißverschluss, der bei meiner derzeitigen Hose praktischerweise durch die Mitte durchgeht, in der neuen Hose einnähen lassen müssen und dazu noch an den Waden verkleinern lassen, damit die Hosenbeine in meine Stiefel passen. Das war mir dann den vierstelligen Betrag nicht mehr wert. Der farbliche Unterschied zum neuen Leder ist - wie erwartet - da, aber hier schenkt mir Michael Lederöl, um die Hose wieder farblich etwas aufzupeppen, und tatsächlich gibt das Öl dem Leder wieder mehr von der ursprünglichen Farbe zurück und gleicht sich somit der Jacke an. Diese Pflege empfehle ich jedem Lederfan. Ich kaufe noch einen Gürtel mit einer goldenen Schnalle, der zu den Knöpfen und Reißverschlüssen der neuen Jacke passt, und schon steht meine neue Lederuniform - fast. Das neue Leder ist noch um einiges schwerer und knatscht auch schöner.
Willst auch du dein Schwert zücken?
Ich stöbere noch ein bisschen im Regal und entdecke einen langen Ledergurt. „Das ist der Sam-Browne-Gürtel“, sagt Michael, „ist eine Art Accessoire …“ Und er legt ihn mir um. Vom breiten Taillengürtel geht nun ein schmalerer Gurt aus, der diagonal über die rechte Schulter führt. „Erfunden wurde er vom britischen Offizier Sam Browne im 19. Jahrhundert, damit der Soldat sein Schwert besser zücken kann.“ Ich bewundere nun diese kleine Veränderung in meinem Outfit, die so eine große Wirkung hat. Sie gibt dem Ensemble jetzt auch etwas „sexy-militärisches“. Find ich geil! Die Transformation ist nun komplett. Hat mir mein vorheriges Outfit doch noch das Gefühl gegeben, ein „versprengter deutscher 80er-Jahre-Punk-Rocker“ zu sein, bin ich nun zum formvollendeten „US-Motorrad-Junkie“ mutiert. Der Typ, der wahrscheinlich seine Bierflasche nach dem Trinken auffrisst, auf seinem Bike richtig heiße Bienen durchbumst, sie anschließend mit einem coolen Machospruch wegwirft und voll geil auf Schlägereien jeglicher Art ist. Kurz: Man(n) wird „hypermaskulin“.
Ich sehe schon die lüsternen Blicke meiner Sklaven vor mir, denn das geile Material wird durch meine Körpergröße und breiten Schultern in seiner Wirkung noch ordentlich verstärkt. Ich liebe es, den Fetischisten vor mir zu haben, der am liebsten sofort „losfummeln“ will, es sich aber erst verdienen muss. Da muss er zum Beispiel erst mal auf die Knie runter und wertschätzend aufblicken. Ich lasse mich da in aller Ruhe und Gelassenheit, im wahrsten Sinne des Wortes, ausgiebig „blickficken“. Nachdem mein Günstling etwas Geduld und Ausdauer bewiesen hat, darf er „mal riechen“ und danach eventuell mal einen kleinen Kuss auf meine Brust geben. Oder er wird zu einer ordentlichen Stiefelpolitur mit der Zunge verdonnert, bevor es weitergeht.
Noch geiler ist es ja, wenn man ihn nicht dazu „verdonnert“, sondern dem Sub sagt, dass er nun die Stiefel lecken „darf“. Ich stehe auf ausgeprägte – Dominanz- / Submissions-Spiele, denn gerade dem ausgeprägten Fetischisten darf man nicht sofort alles geben. Weniger ist hier immer mehr. Leder ist das älteste Textil, das man allgemein mit sexueller Bekleidung in Verbindung bringt. Bereits im vorletzten Jahrhundert bediente man sich dieses Materials zur Unterstützung der sexy Wespentaille. Leder wird auch zukünftig niemals seine Wirkung verlieren, und meine Investition wird sich lohnen. Willst du es dir nicht auch gönnen?
Autor: Dominus Berlin - am 10.09.2021